Die Magie der absichtslosen Berührung

Im März 1974 wurde ich, Esther Janssen, in den Niederlanden geboren. Während meiner Kindheit und Jugend wurde ich mit psychischer Gewalt, Manipulation und emotionaler Kälte konfrontiert. Meine eigenen Bedürfnisse, meine sensible und achtsame Wesensart wurden weder wahrgenommen noch gewürdigt. So lernte ich früh Strategien, um die Demütigungen besser zu ertragen: Ich verdrängte meine Gefühle, zeigte viel Leistung und war dabei immer hart und tapfer. Um zu überleben, blendete ich die unschönen Erlebnisse aus und behielt nur die positiven Erfahrungen in Erinnerung. Ich sollte erst viel später in meinem Leben herausfinden, welch fatale Auswirkungen diese Strategien auf den Selbstwert sowie auf die geistige und seelische Gesundheit haben.

Eines Tages las ich in der Zeitung eine Anzeige, in der eine Agentur Showtänzerinnen für einen Club in Tokio suchte. Kurzerhand meldete ich mich und schon eine Woche später saß ich im Flugzeug nach Japan. Damit begann meine Karriere als professionelle Showtänzerin: Während sieben Jahren reiste ich in 13 Länder, lernte eine Vielzahl von Kulturen und Sprachen kennen und erweiterte meinen Horizont. Mein Leben in der Zeit war wie eine nicht endende Party mit vielen lustigen und verrückten Erlebnissen. Ich fühlte mich so frei wie nie zuvor. In unserer Gruppe von Tänzerinnen entstanden Freundschaften und liebevolle Verbindungen. Die Arbeit im Nachtleben war nicht immer nur Party. Wir erlebten Demütigungen, verbale, physische und psychische Gewalt sowie viele sexuelle Grenzverletzungen. Durch meine Fähigkeit, unschönen Erlebnisse auszublenden, nahm ich all diese Vorfälle nicht als Bedrohung wahr. Stattdessen fokussierte ich mich auf die aufregenden Aspekte meines Berufes. Heute wirkt diese Phase surreal auf mich und ich erkenne, wie abgespalten von Gefühlen und Empfindungen ich in der Zeit gelebt haben muss.

Nach sieben Jahren als Tänzerin orientierte ich mich beruflich neu im Bereich Fitness und Wellness. Auch hier zeigte ich einen enorm hohen Einsatz: Ich besuchte unzählige Kurse und Weiterbildungen. Meine hohe Leistungs- und Lernbereitschaft zahlte sich aus, und bald durfte ich als Wellness-Teamleiterin Verantwortung übernehmen. Unter meiner Führung konnte der Wellnessbereich um das Dreifache des ursprünglichen Volumens ausgebaut werden. Ich arbeitete unermüdlich und weit über das geforderte Maß hinaus. In meiner wenigen Freizeit besuchte ich pausenlos Kurse und Weiterbildungen. In dieser Zeit wurde ich von einem Mann vergewaltigt, mit dem ich mich zu einem zweiten Date getroffen hatte. Für mich war es verstörend mitzuerleben, wie mein Körper während der Vergewaltigung in eine Starre fiel. Meine Stimme, die ich sonst durchaus bestimmt benutzen kann, versagte. Ich erlebte am eigenen Leib den Zustand des Freeze.

Mit der Zeit begannen meine bisherigen Bewältigungsstrategien nicht mehr zuverlässig zu funktionieren und ich merkte eine zunehmende Müdigkeit und Erschöpfung. Das wollte ich aber nicht wahrhaben. Ich peitschte mich wie gewohnt durch mein Leben, bis mein Körper mir ein deutliches Stoppsignal sendete. Ich war von einem Tag auf den anderen energielos, müde und niedergeschlagen. Gleichzeitig wollte mein Verstand diese Grenzen nicht akzeptieren, sondern weitermachen wie bisher. Ich ignorierte meiner Erschöpfung und besuchte einen Einstiegskurs in Tantra-Massage. Während einer Übungsmassage durch einen männlichen Kursteilnehmer folgte, dann ein kompletter Zusammenbruch: Völlig unerwartet kamen heftige Erinnerungen an traumatische Erlebnisse hoch, die mich überfluteten. Ich geriet in Hyperventilation, gefolgt von einem Weinkrampf und heftigen Gefühlen von Scham und Versagen. Obwohl ich mich nach diesem Erlebnis wieder einigermaßen stabilisieren konnte, wurde mir klar, dass ich psychologische Hilfe benötigte, um mit den bis dahin verdrängten traumatischen Erlebnissen zurechtzukommen. Durch die Auseinandersetzung mit meinem bisherigen Leben und den destruktiven Bewältigungsstrategien erkannte ich, wie hart und schonungslos ich mit mir umgegangen bin. Ich realisierte, dass es mir an Selbstliebe und Selbstakzeptanz fehlte. Zum ersten Mal ließ ich zu, dass verdrängte Erinnerungen aus der Kindheit, aber auch aus der Zeit als Showtänzerin in mein Bewusstsein kommen konnten.